„Wie können wir uns eine Schulkultur vorstellen, die auf Solidarität basiert?“

Ein Gespräch mit Ahmet Öğüt
von Florian Malzacher

In: The Silent University: Towards a Transversal Pedagogy. Hg. Florian Malzacher, Pelin Tan, Ahmet Öğüt. Berlin: Sternberg Press, 2016. 12-23.


Florian Malzacher: Kommen wir direkt zu einem Kernproblem der Silent University: Sie ist als selbstorganisierte Schule gedacht, von und für AkademikerInnen, die ihre Heimatländer verlassen mussten und in dem Land, in dem sie jetzt leben, nicht lehren dürfen (aufgrund ihrer rechtlichen Stellung, ihrer Arbeitserlaubnis, wegen nicht anerkannter Qualifikationen etc.), damit ihr Wissen wieder gehört wird. Aber die Realität ist, dass die Silent University üblicherweise von oben nach unten gegründet wird. Sie ist deine Initiative. Meistens ist eine Institution oder eine zu dieser Institution gehörender Koordinatorin etc. daran beteiligt. Wie gehst du mit diesem Widerspruch um?

Ahmet Öğüt: Ich habe viel gelernt, seit wir 2012 die erste Niederlassung der Silent University in London eröffnet haben. Es dauerte eine Weile, sie von einem Projekt in eine kleine Organisation zu verwandeln. In diesem Prozess haben sich auch meine Position und meine Beteiligung verändert. Zuerst war ich der Künstler, der sie initiiert hat, dann wurde ich Co-Koordinator und Co-Organisator, jetzt fungiere ich meist als Betreuer und hoffe, dass ich bald einfach ein normales Mitglied sein werde, ein Mitwirkender und Gast.

Mein ursprünglicher Plan war, fünf Jahre als Initiator direkt involviert zu sein und nur in einer Stadt – London – zu bleiben. Aber in der Realität kam es anders. Jetzt, vier Jahre später, haben wir drei aktive Niederlassungen in Mülheim, Hamburg und Stockholm, und es sind neue autonome Ableger in Athen und Amman geplant. Es gab auch eine gescheiterte Gründung in Montreuil, Paris, die ein Jahr lang aktiv war. Und es gibt eine weitgehend inaktive Niederlassung in London, da uns dort nach dem dritten Jahr die langfristige Zusammenarbeit mit einer Institution fehlte.

Am Anfang dachte ich, dass ein Vorbereitungsprozess nötig sei, um einen Punkt zu erreichen, an dem die Gemeinschaft die SU übernehmen und eine autonome Organisation errichten könnte. Wir würden anfangs mit Institutionen zusammenzuarbeiten, um ein Budget für mindestens ein Jahr zu sichern. Es würde zunächst nach einem von oben nach unten gerichteten Prozess ausschauen, aber dann sollte es sich bottom up weiterentwickeln. Was die langfristige Stabilität anging, dachte ich, es sei eine gute Idee, mit einer Institution, einem Budget, einem Treffpunkt und einem lokalen Co-Koordinator zu beginnen, immer wissend, dass es sich dabei um eine parasitäre Organisation handelt.
Ich denke immer noch, dass dies in einigen Ländern die beste Art ist, anzufangen. Aber jetzt probieren wir auch das bottom up-Modell in Städten wie Athen oder Amman, wo wir mit einer Gruppe engagierter und motivierter Menschen beginnen, nicht mit einer Institution oder einem Budget. Es lässt sich noch nicht sagen, welche Strategie zu einer nachhaltigeren, unabhängigeren, autonomeren Organisation führen wird.

Die Institution sollte also eine unterstützende, dienende Rolle einnehmen und sich den örtlichen Bedürfnissen anpassen. Da es eine hohe Fluktuation der Teilnehmenden gibt – weil einige weiterziehen wollen oder müssen etc. – kann die Unterstützung einer Institution Stabilität schaffen, aber sie sollte sich so früh wie möglich zurückziehen.
Aber es gibt noch eine weitere Frage. Bisher waren es immer Kunstinstitutionen, mit denen du zusammengearbeitet hast. Das hat Vorteile, weil sie beispielsweise ihren Tätigkeitsbereich sehr breit definieren und bestimmte Sachen leichter möglich machen können. Und sie können Menschen, die in die Silent University involviert sind, in gewissem Maße symbolisch aufwerten. Allerdings hat die Kunstwelt die Tendenz, Dinge harmlos werden zu lassen. Alles, was sie berührt, wird zu „Kunst“. Sie ist Teil eines bestimmten Marktes und neigt dazu, größtenteils symbolischen Wert für ihre eigenen Zwecke zu erschaffen.

Mich interessiert, wie wir Einrichtungen nutzen können, die uns Kunstinstitutionen zur Verfügung stellen. Oft unterschätzen wir diese Einrichtungen und was sie erreichen können. Ob eine große Institution wie Tate Modern oder mittelgroße Institutionen wie The Showroom, Tensta Konsthall oder das Impulse Theater Festival, selbst kleinere Organisationen können in kurzer Zeit viel erreichen. Wie können wir etwas wie die Silent University innerhalb einer Kunstinstitution positionieren? Nicht nur innerhalb bestehender Formate wie Veranstaltungen oder temporäre Engagements, sondern auch als Teil des akkreditierten Systems für Studierende, wodurch die Teilnehmenden an der Silent University einen direkten Zugang zu den Klassen erhalten und sie sogar für ihren Unterricht bezahlt werden. Gute Absichten sind nicht genug. Es besteht die Gefahr, die SU in eine harmlose, taktische Kollaboration zu verwandeln. Es braucht einen andauernden Prozess täglicher Verhandlungen, um mit einer Kunstinstitution zu arbeiten.

Saskia Sassen hat in ihrem Vortrag beim Creative Time Summit in Stockholm 2014 betont, wie wichtig es ist, nicht autorisiert, aber anerkannt zu sein. Es geht nicht darum, die bestehende Universitätsstruktur oder das neoliberale Bildungssystem zu imitieren oder zu ersetzen. Es ist an der Zeit, es zu revolutionieren, zu dekolonisieren und es ambitioniert tatsächlich zu transformieren – dabei aber im Kleinen anzufangen. Mit Kunstinstitutionen und etablierten Universitäten zusammenzuarbeiten, ist ein Weg, Anerkennung zu bekommen, anstatt zu versuchen, eine neue und unabhängige Gruppe zu gründen, die faktisch an den Rand gedrängt wird. Stattdessen können wir die Einrichtungen der bereits existierenden Institutionen als progressive Hilfsmittel nutzen. Aber um das wirklich zu können, müssen sich diese Institutionen selbst wandeln.