Unfriendly Takeover

Performance, Installation, Diskurs, Konzert, Party...
2000 - 2008
Frankfurt/Main

Mit Oliver Augst, Jérôme Bel, Black Market International, Frank Bretschneider, Dat Politics, deufert&plischke, Diedrich Diederichsen, Heinrich Dubel, Tim Etchells, Paul Granjon, Brian Holmes, Emil Hrvatin, Dennis Loesch, Lone Twin, Sylvère Lotringer, Jan Jelinek, Stefan Kaegi, Thomas Kapielski, Khan, Felix Kubin, Xavier Le Roy, Lone Twin, Brian Massumi, Sebastian Meissner, Avi Mograbi, Martin Nachbar, Dan Perjovschi, Jan Peters, Franz Pomassl, Portable, Rimini Protokoll, Raqs Media Collective, Jan Ritsema, Irit Rogoff, Jack Smith, Mårten Spångberg, Marcus Steinweg, David Weber-Krebs, Jan Verwoert, Klaus Walter, Adrian Williams et al.


Eine unfreundliche Übernahme ist keine Guerilla-Aktion, keine kulturmilitärische Strategie und dennoch eine Taktik: Die temporäre Übernahme eines anderen, fremden Ortes, einer fremden Struktur, eines fremden Themas. Die Übernahme der kuratorischen Amtsgewalt, die parallel zu alten Strukturen neue und so ein zeitlich befristetes Parallel-Universum schafft.

Unfriendly Takeover wurde 2000 als ehrenamtliches, no budget-Kuratorenkollektiv gegründet, bestehend aus Andreas Bohn, Janine Hauthal, Mikael Horstmann, Florian Malzacher, Anke Schleper, Heike Schleper und Bernhard Schreiner; weitere Aktive waren u.a. Manuela Demmler und Jens Holst. 2004 bis 2006 hatte Unfriendly Takeover sein Basislager im Atelierfrankfurt, zu dessen Mitbegründern der Verein gehörte. 2008 stellt Unfriendly Takeover seine Aktivitäten ein.

Anfänglich stand das Spiel mit räumlichen Übernahmen im Vordergrund: Thomas Kapielski führte im Museum für Moderne Kunst durch eine ihm unbekannte Schau, die Ausstellung Skinny Bag Laboratories scheiterte und gelang in der Konfrontation mit der massiven Strukturmaschinerie des Frankfurter Hauptbahnhofs, in Wien wurde eine lokale Künstlerszene isoliert und innerhalb von 24 Stunden in eine heruntergekommene Anderthalb-Zimmer-Wohnung verpflanzt. Eine ähnliche Idee der Szene-Ausstellung prägte eine Arbeit in Hamburg, als drei verschiedene Klubs nachmittäglich in den Plüsch der kleinen Gründgens-Loge einluden.
Am Kunstencentrum Vooruit im belgischen Gent ließ Unfriendly Takeover hinter verschlossenen Türen in einem leeren Ballsaal einen Schriftsteller aus seinen Werken lesen, veranstaltete ein Fussballspiel und eine einsame Party.
Bei solchen Aktionen und Veranstaltungen ging es – mit den Worten von Hans Ulrich Obrist – um „die Infiltration existierender Strukturen und Institutionen“ mit dem Ziel „eine heterogene Situation (zu schaffen), in der sich verschiedene Praktiken und Formen durchmischen können.“ Keinen eigenen, festen Ort zu haben, sondern immer wieder andere Anbindungen bewusst zu suchen, sich neu zu vernetzen, gehörte zu den Grundprinzipien des site specific curating, wie Unfriendly Takeover es in den Jahren 2000 – 2008 entwickelte.

Parallel dazu erweiterte Unfriendly Takeover sein Spektrum: Im Frankfurter Hafen unter der Honsellbrücke entstand – ursprünglich gemeinsam mit der Frankfurter Küche (Kattrin Deufert & Thomas Plischke) – die Gemeinschaftspraxis: Ein temporärer Spielort mit Club, Theorie und Performances. Die Salons, die hier erstmals unter dem Namen Gemeinschaftstheorie entstanden, brachten später auch im TAT und im Museum für Angewandte Kunst u.a. KFZ-Prüfer mit Kulturtheoretikern und Computerlinguistenüber den Wert von Fehlern ins Gespräch, eine Ethnologin erklärte indischen Flüchtlings-Aktivisten den Sinn eines erratisch aufgeladenen Steins und die deutsche Synchronstimme von Marilyn Monroe konkurrierte mit Alfred Biolek um den schöneren Klang.

In den Jahren 2004 – 2006 veranstaltet Unfriendly Takeover u.a. die Reihe Performing Lectures und verschiebt die Frage nach der übernahme auf abstrakteres Gelände: In der Diskussion über die Vermischung künstlerischer Praxis und Theorie, das Überschreiten von Gattungsgrenzen und selbstreflexive Kunst und kreative Wissenschaft nimmt seit einigen Jahren das Format der Lecture Performance einen besonderen Stellenwert ein, das performativ und diskursiv zugleich funktioniert: Der Vortrag als Aufführung, die Reflexion als Selbstreflexion, der Inhalt als Form, die Sprache als Akt. Bewusst werden hier Ansätze aus verschiedenen künstlerischen Disziplinen nebeneinander gestellt. Die Vortragenden kommen aus Choreographie und Tanz, aus Theater, Literatur, Musik und Bildender Kunst. Zu Gast waren Xavier Le Roy, Jérôme Bel, Stefan Kaegi, deufert+plischke, Mårten Spångberg, Felix Kubin, Tim Etchells, Lone Twen, Martin Nachbar, Daniel Belasco Rogers u.v.a.

Das Wörterbuch des Krieges (gemeinsam mit Multitude e.V.) war mit vier Ausgaben in den Jahren 2006/07 eine kollaborative Plattform zur Herstellung von 100 Begriffen zum Thema Krieg, die in vier zweitägigen Ausgaben in Frankfurt, München, Graz und Berlin mit jeweils 25 Beiträgen von Wissenschaftlern, Künstlern, Theoretikern und Praktikern gebildet und präsentiert wurden. Als Vorträge, Performances, Filme, Slideshows, Lesungen, Konzerte in streng alphabetischer Reihenfolge als Marathon-Diskurs. Von ABC-Waffe bis Zivilbevölkerung, von Fallschirminvasion bis Facts on the Ground, von Kartoffel bis Kollateralschaden, von Infowar bis Radarüberwachung, von Heimweh bis Widerstand. Abschließend erschien eine Auswahl von Beiträgen als Buch im Merve-Verlag, Berlin.

Innerhalb von sieben Jahren organisierte Unfriendly Takeover als freie, ehrenamtliche Kuratorengruppe rund 20 Programme und Programmreihen mit ca. 100 Einzelveranstaltungen an mehr als 30 Orten und mit über 300 verschiedenen Künstlern, Vortragenden, Gesprächspartnern. Jedes Projekt mit seinem eigenen Ort, seiner eigenen Zusammensetzung, seinem eigenen Publikum.

Unfriendly Takeover waren Andreas Bohn, Manuela Demmler, Janine Hauthal, Jens Holst, Mikael G.B. Horstmann, Florian Malzacher, Anke Schleper, Heike Schleper und Bernhard Schreiner.

www.unfriendly-takeover.de