Durch den Verlust der großen Erzählungen haben Gesellschaft und Kunst weitgehend die Möglichkeit verloren, eindeutige ethische, politische, aber auch ästhetische Positionen zu beziehen. Neue Rahmungen, repräsentative Ordnungen, Verschiebungen von kulturellen, politischen und wissenschaftlichen Paradigmen stellen unsere Konzepte von Identität, Realität und Ethik. Aber wie und auf welche Weise zerbrechen unsere Wirklichkeiten? Welche neuen Dechiffrierungen sind nötig, die Welt zu verstehen? Und wie können diese Ansatzpunkte Beginn oder Resultat eines künstlerischen Prozesses sein?
Die 4. Internationale Sommerakademie berücksichtigt solche Fragen indem sie ihren Schwerpunkt auf den Akt der Wahrnehmung selbst legt: Auf der einen Seite fokussiert sie das Konzept des Fake als eine Möglichkeit, traditionelle Vorstellungen von Biografie, Zuverlässigkeit von Wahrnehmung und Qualität von Repräsentationen als intersubjektive Bezeichnungen zu hinterfragen. Was „ist“ die Leinwand auf die wir schauen und wie beeinflusst diese Leinwand unseren Blick?
Auf der anderen Seite impliziert der Begriff der Wahrnehmung die Frage nach der Perspektive und der Zuschauerschaft. Auf welche Weise wurden Zuschauerpositionen durch das Aufkommen neuer Medien und politischer Agenden reorganisiert – als Manipulation ebenso wie als kritische Haltung? Und hat der Zuschauer seine eigene Perspektive auf vergleichbare Weise erneuert? Es scheint, dass Ästhetik heute nicht länger eine Frage der Organisation von Form und Inhalt ist, sondern eher eine Angelegenheit des Aufdeckens der ideologischen Perspektive – als Fake, „Wahrheit“, Erfahrung, Abenteuer, Zuschauer, Prozess, Institution, Politik oder einfach: Identität.
In acht “Formationen” waren die Teilnehmer eingeladen, ihre eigenen Landkarten innerhalb eines Rasters von Vorträgen, Arbeitsgruppen, Sitzungen, Performances und verschiedener Arbeits- und Kommunikationsformen zu entwickeln. Jede Formation hatte einen international anerkannten Künstler und Theoretiker als Gastgeber, der sich wiederum seinen eigenen gastgebenden Partner einlud.
Der Titel „True Truth about the Nearly Real“ ist eine Auftragsarbeit von Tim Etchells (Forced Entertainment)
ein Projekt des Künst Mousonturm
In Zusammenarbeit mit Dem Institut für angewandte Theaterwissenschaft / Universität Giessen, Frankfurter Kunstverein, Centre for Performance Research, Janus, Kunstencentrum Vooruit Ghent, Rotterdamse Schouwburg