Oklahoma in New York

Nature Theater of Oklahoma
von Florian Malzacher

In: Die Deutsche Bühne 01 (2015): 63-65.


In New York den eigenen Klischees zu entkommen, ist nicht so einfach. Durchs Hotelfenster im 18. Stock hört man Polizeisirenen wie in einem Krimi, und schaut man raus, sind die Straßen voll von typisch gelben Robert-de-Niro-Taxis. Nur so gefährlich ist es nicht mehr wie vor dreißig, vierzig Jahren im Dunkeln durch die Häuserschluchten zu wandern: Selbst die Lower East Side ist durchgentrifiziert bis zur Paleo-Diät. Neuere Klischees überlagern die älteren.

Auch im freien Theater kommt man von den vorgestanzten Bildern nicht leicht los. Die Ästhetiken von Über-Müttern (wie Elizabeth LeCompte von der Wooster Group) und Über-Vätern (wie Richard Forman) werden noch immer meist eher kopiert als verdaut. Ein Großteil der Arbeiten in den Off-off und Off-off-off-Orten der Stadt sehen aus wie schon mal besser gesehen. Eine solche Avantgarde-Geschichte ist eben auch ein künstlerischer Fluch für die Nachkommen. Noch dazu weil AIDS eine noch heute unfassbare, tiefe Schneise durch die Generationen geschlagen hat.

Solche Traditionen kann man frontal angehen: Mit totalem Bruch, wie es die Avantgarden selbst propagiert haben. Aber die völlige Abkehr von Vorfahren, die den künstlerischen Freiraum ins schier unendliche erweitert haben, kann ja eigentlich nur in der künstlerischen Reaktion liegen. Und die gibt es im Broadway-New York natürlich zuhauf. Wer progressiv ist, muss andere Wege finden. Unter jenen Theatermachern, denen das in den letzten Jahre gelungen ist, sind Kelly Copper und Pavol Liska mit ihrem Nature Theater of Oklahoma zumindest in Europa vermutlich die erfolgreichsten. Und diejenigen, die sich – weit von jedem Epigonentum entfernt – am deutlichsten auf die Traditionen der Stadt beziehen. Sie wollen die Geschichte weiterschreiben, nicht reproduzieren.

Für Kelly Copper und den slowakische Exilant Pavol Liska, die sich 1992 am Dartmouth College in New Hampshire beim Autoren- bzw. Regiestudium kennenlernten, war New York eine Offenbarung: Schon der erste gemeinsame Wochenendbesuch „veränderte unseren Blick aufs Theater völlig: Wir sahen Frank Dell’s the Temptation of St. Antony der Wooster Group, Reza Abdoh’s Quotations from a Ruined City und Richard Foreman’s My Head was a Sledgehammer.  Damals führte Liska am College gerade Regie für ein eigenes Stück: „Als ich zurückkam, verkündete ich, dass wir alles falsch gemacht hatten und dass wir alles ändern müssten. Diese drei Shows, die ich an jenem Wochenende in New York gesehen hatte, machten mir klar, was Theater sein konnte.“

Über die Jahre hinweg haben die Arbeiten des Nature Theater bei allem Eigenen etwas sehr spezifisch New Yorkerisches behalten: Marcel Duchamp steuerte die Idee des Readymades bei, das Copper und Liska konsequent auf ihre Theatertexte übertrugen indem sie Telefongespräche eins zu eins – mit allen Versprechern und „Ähms“ – transkribierten und auf die Bühne brachten. Die große Geste, mit der auch das Banalste präsentiert wird, lässt sich auf Andy Warhols Überhöhung des Alltags zurückführen. Die Faszination für technische Perfektion und exzessive Überforderung auf die Wooster Group.