„Kunst allein kann die Welt nicht allein ändern”

Ein Gespräch mit Chantal Mouffe
von Florian Malzacher & Pelin Tan

In: The Silent University: Towards a Transversal Pedagogy. Hg. Florian Malzacher, Pelin Tan, Ahmet Öğüt. Berlin: Sternberg Press, 2016. 34-42.


Sie sagten in einem Interview, dass Sie nicht an eine Unterscheidung von politischer und nicht-politischer Kunst glauben. „Aus Sicht der Theorie einer Hegemonie“ spielt der Künstler für Sie „eine Rolle bei der Konstitution und Aufrechterhaltung einer gegebenen symbolischen Ordnung oder er fordert sie heraus, und daher gibt es notwendigerweise eine politische Dimension“. Wie sehen Sie solche künstlerischen Praktiken, wie die der Silent University, die zum Ziel hat, Geflüchtete und Asylbewerber, die von der komplexen Struktur der Hegemonie zum Schweigen gebracht werden, zu ermächtigen?

Ich habe ein Problem damit, die Silent University als Kunst-Projekt zu sehen. Ich sehe die Silent University sehr positiv – aber ist sie ein Kunst-Projekt? Ich glaube nicht. Natürlich kann man sagen, dass es eine Initiative ist, bei der Künstler mitwirken, ein Projekt, das von einem Künstler entwickelt wurde, aber das macht es noch nicht zu einem Kunst-Projekt.

Das wird wahrscheinlich eine offene Frage bleiben. Jeder, der mit der Silent University zu tun hat, beschreibt sie unterschiedlich. Wir betrachten sie unter anderem deshalb als Kunst, weil sie mit institutioneller Präsentation spielt. Indem man sie als Universität bezeichnet, bezieht man sich auf das Modell einer Institution. Aber in der Realität, auf einer Verwaltungsebene, ist sie keine wirkliche Universität. Sie ist eine fiktive Struktur, es instituiert sich, aber sie ist keine Institution. Sie spielt mit der symbolischen Ordnung, mit Repräsentation. Nicht nur durch ihre Form ist sie ein künstlerisches Projekt, sondern auch weil sie durch die Verwendung repräsentativer Modelle in die Gesellschaft interveniert. Man kann die Silent University als Nichtregierungsorganisation oder als ein Gemeinde- oder ein staatliches Projekt sehen. Es ist schwer zu beschreiben, worin die institutionelle Körperschaft besteht oder welche Art von politischer Sprache dort wer mit wem spricht. Es ist wichtig, dass man nicht genau beschreiben kann, was die SU eigentlich ist. Ein weiterer Grund, sie mit Kunst zu verbinden, ist natürlich, dass sie für gewöhnlich mit einer Kunstinstitution verbunden ist …

… nun ja, aber das kommt daher, dass Künstler involviert sind und das sind die Kontakte, die sie haben. Was wäre der Unterschied, wenn sie von einer Schule oder einer politischen Organisation beherbergt würde, die keine Verbindungen zur Kunstwelt hätte?

Aber es geht auch darum, über die Strategien der politischen Strategien hinauszugehen, über Erziehungspolitik, institutionelle Politik, Regierungspolitik usw. Die Silent University in einer staatlichen Institution zu etablieren, wäre nicht so einfach, denn man müsste sich mit den Prinzipien der Silent University auseinandersetzen, die selbstorgansiert, autonom und kollektiv betrieben werden muss. Es gibt eine/n Koordinator/in, aber die Initiative geht von vielen Menschen aus. Die meisten Institutionen, auch große Museen, wollen im Grunde keine Geflüchteten und Asylsuchenden auf Dauer in ihren Räumlichkeiten beherbergen. In dieser Hinsicht sind kleinere Kunstinstitutionen leichter zugänglich.

Ich finde es etwas übertrieben, wenn die Leute sagen, ich bin Künstler, also ist alles, was ich tue, automatisch ein Kunstprojekt. Ich würde es eher in die Kategorie von „Kunst-Aktivismus“ oder „Artivismus“ stecken. Für mich ist das eine Form von politischer Praxis. Die Silent University ist definitiv ein politisches Projekt, und künstlerischer Aktivismus ist ein politisches Projekt, das künstlerische Strategien einsetzt, beispielsweise hinsichtlich Fragen von Repräsentation, wie sie für die Silent University von Bedeutung sind. Das ist vor allem eine Frage der Gewichtung, aber es ist eine wichtige Unterscheidung, eine methodische Frage: Viele Aktivisten stehen Künstlern als Teil der Kunstwelt sehr kritisch gegenüber – sie glauben, dass man nicht in Museen oder Galerien arbeiten oder an Biennalen teilnehmen kann, wenn man kritische Kunst machen will.