Das Lachen der Anderen

von Florian Malzacher & Gesa Ziemer

In: herbst. Theorie zur Praxis (2006): 66-71


Theorie gehört untrennbar zur Kunst. Dafür stehen zahllose Akademien, Workshops, Vorträge in Festivals, Theatern und Ausstellungshäusern. Gesa Ziemer und Florian Malzacher wissen, dass dabei Stolpern zum Geschäft gehört und geben einen Einblick, wie und wo gedacht wird im zeitgenössischen Theater- und Kunstkontext.

Denken in der Kunst hat keinen guten Ruf. Einerseits. Zu viel konzeptueller Tanz, zu kopfiges Theater, zu enigmatische Bilder und Installationen, all das in-progress-Zeugs, zuwenig Schönheit, zuwenig Gefühl, zuwenig Fleisch und Blut. Andererseits: Denken in der Kunst steht hoch im Kurs. Kaum ein Theater, Festival oder Museum, das sich nicht ab und an ein laboratorygönnen würde, eine Akademie, ein educational oder research program; Manifesta, documenta, Sommerakademien, Bildung überall. Dabei ist es selbstverständlich geworden, Theorie ohne klare Unterscheidung der Sphären an die Praxis zu binden, Orte und Formate für Vertreter von Kunst, Theorie und Alltag zu finden und Gemeinsames zu erarbeiten – mit dem hohen Anspruch, Theorie nicht nur zu vermitteln, sondern auch zu produzieren. Aber: Ist es die Aufgabe eines Festivals, Theater, Ausstellungshauses, das seine Steuergelder schließlich für die Produktion und Präsentation von Kunst bekommt, zu forschen, Diskurse zu forcieren, Wissen zu vermitteln und zu schaffen?

Warum nicht auf’s Kerngeschäft konzentrieren: Vorhang auf, Vorhang zu. Vernissage, Finissage.

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Anfänge gibt es nicht, sie werden im Rückblick zu solchen gemacht. Hans Blumenberg erzählt eine solche Anfangsgeschichte, die uns die scheinbar absolute Unvereinbarkeit von Theorie und Praxis vor Augen führen soll: Eine antike Fabel des Äsop übertragend, berichtet Platon im Theätet von einer Art philosophischen Ur-Unfall: Thales von Milet – der Astronom als Protophilosoph und rückblickend gern als Gründer griechischer Philosophie benannt – tritt eines Nachts aus dem Haus, um die Sterne zu beobachten. In voller Konzentration eines zerstreuten Professors auf seine himmlischen Objekte  stolpert er kopfüber hinein in einen mit Wasser gefüllten Brunnen. Die weit lebenstüchtigere Magd, die ihn in dieser peinlichen Situation beobachtet, bricht in Lachen aus und hält ihm vor, „dass er zwar darauf aus sei, zu wissen, was am Himmel vor sich gehe, ihm aber verborgen bleibe, was in seiner Nähe und vor seinen Füßen liege. Derselbe Spott gilt für alle, die ganz in der Philosophie aufgehen.“ (Platon).

Es ist nicht nur die Anwesenheit der Thrakerin, es ist ihr schallendes Lachen, das den Philosophen auf das Niedere, direkt vor ihm Liegende hinweist, das auch er als Theoretiker nicht ignorieren kann. Besonders für Theorie, die sich im Umfeld von Performance und Theater formiert, ist diese Fabel vielsagend: Denn sie erzählt davon, wie Philosophie (als theoretische Disziplin par excellence) auf Alltag und Körper stößt. Und verdeutlich so das alte Dilemma von Körper/Geist und Praxis/Theorie.

Die durchaus flirtende Begegnung zwischen der Frau des Volkes und dem Philosophen ist die Urgeschichte aller folgenden Spannungen und Unverständnisse zwischen Theorie und Praxis. Sie kann negativ oder positiv interpretiert werden: Als ein für die Theorie konstitutiver Unfall – denn ohne unzeitgemäße Weltabgewandtheit kein Durchblick. Oder als Ausdruck eines völlig überholten Theorieverständnisses. Ein solcher möglicher Unfallmoment eignet auch all den vielen außeruniversitären Wissensvermittlungsversuchen auf dem Feld der Kunst – trotz aller visionären und unzweifelhaften Notwendigkeit. Und nicht immer ist er produktiv.