Anwalt der Nische

Kuratieren in den performativen Künsten
von Florian Malzacher

In: Theater Heute. 04 (2011): 6-21.


Um den Künstler herum, um die Kunst herum. Im Gemenge der Berufe, die zwar nah dran sind oder gar mittendrin, aber nicht selbst künstlerisch, nicht unmittelbar selbst künstlerisch, hat der Kurator das jüngste und unklarste Profil. In der Bildenden Kunst, wo er innerhalb kurzer Zeit zum Star avancierte, steht er zwar im Mittelpunkt einer Auseinandersetzung, die er im Wesentlichen selbst führt. In Tanz, Theater, Performance aber ist er noch immer selten und vor allem: weitgehend unbeachtet. Was umso überraschender ist, als er in den freien performativen Künsten längst eine wirkmächtige Rolle spielt bei der Definition und Organisation von Kunst, Diskursen, Formaten, Finanzen.

Berufsbild aus der Bildenden Kunst

Nun gehört es zum Profil vieler Jobs im freien, experimentellen, internationalen Theater (also jenem Theater außerhalb der fixierten Strukturen und relativ fixierten Ästhetiken der meist nur innerhalb ihrer Landesund Sprachgrenzen wirkenden Stadttheater), dass es kein klares Profil gibt. Was macht ein Dramaturg ohne Drama, ein Kritiker ohne Kriterienkatalog, ein Tänzer ohne Tanz, ein Regisseur ohne zu inszenierenden Text? Dem Theater-Kurator aber steht nicht einmal ein veraltetes Referenzmodell zur Verfügung: Begriff und Berufsbild wurden aus der Bildenden Kunst entliehen, weil ein bestimmter Umgang mit Formaten, mit Kunst und Künstlern, aber auch Ökonomien und Öffentlichkeiten plötzlich übertragbar schien.

Zuvor hatte sich in den Achtzigern, frühen Neunzigern ein Gutteil der freien Theaterlandschaft grundlegend verändert: Radikale neue Ästhetiken, später auch neue Arbeitsgefüge und Hierarchien innerhalb von Ensembles, Kollektiven und Kompanien entstanden parallel zu neuen oder neu definierten Häusern und Festivals. Vor allem das Konzept des „Kunstencentrum“, das mit seinen offenen, meist interdisziplinären Ansätzen vielen der Stars von heute (Keersmaeker, Lauwers, Fabre …) den Weg ebnete und Publikum neu sortierte, schwappte von Belgien und Holland auf benachbarte Länder über und ermöglichte, die Institution des Theaters neu zu denken.

Mit ihnen kam ein neues, oft charismatisch aufgeladenes Berufsbild: Das des Programmmachers, der je nach Institution offiziell Künstlerischer Leiter, Intendant, Dramaturg, Direktor, Produzent hieß. Schon der Name zeigt: Die Betonung lag auf zupackendem Handeln. Eine Generation von Machern bestimmte das Geschehen – und auch wenn deren Gestus aus heutiger Sicht zuweilen etwas Patriarchalisches hatte, war die Szene doch weniger männerlastig als die Gesellschaft und die Stadttheater drumherum. Diese Gründergeneration, die nebenbei auch das Modell des Dramaturgen umdefinierte und importierte, etablierte bemerkenswert effektive und stabile Strukturen und Öffentlichkeiten: Es war eine Zeit des Erfindens und Findens, die deutlich bis heute fortwirkt. Arbeitsprofile wurden geschaffen und verändert – auch das des Künstlers selbst.

Diese Gründungsarbeit war (zumindest im Westen) spätestens Mitte der 90er Jahre weitgehend abgeschlossen, nicht zuletzt auch weil die finanziellen Ressourcen geringer wurden. Es folgte eine Generation der ehemaligen Assistenten, gewissermaßen der kritischen Lehrlinge, und mit ihnen eine Zeit der Kontinuität, aber auch des Ausdifferenzierens, der Reflexion, der maßgeschneiderten Netzwerke, des Entwickelns und wieder Hinterfragens neuer Formate – Labs und Residencies, Sommerakademien, Parcours, Mini-Themenfestivals, Nachwuchsplattformen … Die Mühen der Ebenen ersetzten die Mühen der Berge, das Ringen um Qualitätskriterien und Diskurse den zuweilen soziokulturellen Gründungsimpetus, sehr unterschiedliche Kulturen oft gleichberechtigt nebeneinander zu ermöglichen.

Verbalisierung, Vermittlung, Diskussion

Noch prägen Zwischenmodelle das Bild, aber die starke Spezialisierung der Künste (die von der Bildenden Kunst vorgelebt wurde), die dadurch notwendige Spezialisierung von Programmmachern und Dramaturgen, aber auch eine allgemein veränderte Berufswelt, die zunehmend auch hier auf freie, unabhängige, aber billigere Arbeitskräfte setzt, sowie immer ausdifferenziertere Öffentlichkeiten fordern abermals ein anderes Berufsbild: Der Kurator ist das Symptom dieser Veränderungen der Kunst, aber auch der Gesellschaft und des Marktes. Sein Arbeitsfeld sind Theaterformen, die oft nicht in etablierten Strukturen realisierbar sind; künstlerische Handschriften, die stets andere Herangehensweisen erfordern; eine immer internationalere, disparatere Szene; die Kommunikation oft voraussetzungsreicher Ästhetiken; ihre Vermittlung und Kontextualisierung. Nicht zuletzt ist er das Bindeglied zwischen Kunst und Öffentlichkeit.

Ob der geklaute Begriff des Kurators für diesen Job am besten geeignet ist, darüber wird unter Künstlern und Kollegen derzeit gern gezankt oder vor allem: polemisiert. Doch es geht um mehr als einen Distinktionsgewinn für sich verkannt fühlende Programmmacher. Und die Schwierigkeit, den neuen Job zu benennen und zu definieren, ist symptomatisch für ein Genre, in dem Begriffe ohnehin Mangelware sind, ja, das nicht einmal selbst einen vernünftigen Namen hat: experimentelles Theater? Freies Theater? Alles vorbelastet oder missverständlich. Time based Art? Live Art? Immerhin Versuche, die Genres nach anderen Grenzen zu definieren. Devised Theatre, also ein Theater, das stets von null entwickelt werden muss? New Theatre, noch immer? Postdramatisches Theater? Zumindest mal ein erfolgreiches, vermarktbares Schlagwort. Aber wie passt da jener Tanz drunter, der in den vergangenen Jahren so einflussreich war, der aber ebenfalls noch immer einen passenden Namen sucht: konzeptueller Tanz?

Man mag als Klandestinromantiker die fehlende Schublade für einen subversiven Gewinn halten und sie so erst zimmern – ein elitäres Nischendenken weniger aus Selbstbewusstsein als aus defensiver Resignation. Tatsächlich aber verweist der Mangel an Begriffen vor allem auf einen Mangel an Verschriftlichung, einen Mangel an Kommunikation, die sich nicht auf Werbung beschränkt, in den performativen Künsten, die in dieser Hinsicht verblüffend sprachlos sind. Und begründet so wieder die Notwendigkeit kuratorischer Arbeit, die – wie in der Bildenden Kunst zu sehen, wo beispielsweise Kataloge integraler Bestandteil fast jeder Ausstellung sind – zu einem guten Teil aus Verbalisierung, Vermittlung, Diskussion besteht. Als Teil der zentralen Aufgabe, Kontexte zu schaffen.

Das autonome Kunstwerk ist nicht unantastbar

Kontexte: Verbindungen zwischen Künstlern, Kunstwerken, Zuschauern, Kulturen, sozialen und politischen Realitäten, Parallelwelten, Diskursen, Institutionen. Nicht zufällig ist der Kurator in der Bildenden Kunst zu einer Zeit in Erscheinung getreten, als Kunstwerke ohne Kontext oft nicht mehr funktionierten, nicht mehr funktionieren wollten. Als sie im Gegenteil begannen, sich eben gerade über ihre Kontexte zu definieren, sie sich selbst zu suchen oder gar zu kreieren und die sie umgebenden Institutionen kritisch zu hinterfragen. Als die Idee des auratischen Werkes und des auratischen Autors verschwand zugunsten einer Kunst, die ohne Relation nicht mehr zu verstehen war. Nicht nur die Menge an Information über die und aus der Welt, auch die Komplexität der Kunst war exponential gewachsen – und die Menge der Kunst, die produziert wurde. Der Kurator war sowohl eine der Ursachen als auch eines der Resultate dieser Entwicklung. So bewegt sich der häufige Wunsch von Künstlern in Tanz und Theater (und nicht grundlos weit seltener in der bildenden Kunst), ihr Werk unerläutert, alleine stehend, ohne Rahmung zu präsentieren, auf dem schmalen Grat zwischen berechtigter Furcht vor Einengung, Vereinfachung, Domestizierung einerseits und der Fehleinschätzung der Wirkungsweisen der eigenen Arbeit andererseits. Die Sprachlosigkeit des Genres erstreckt sich auf alle Beteiligten.

Gute kuratorische Arbeit wäre also, das autonome Kunstwerk nicht in seiner Autonomie zu beschädigen, es im Gegenteil darin zu bestärken, und es dennoch nicht für unantastbar zu halten, für zu schwach, für zu schutzbedürftig. Wie nah darf der Rahmen an die Arbeit rücken, wie eng das eine neben das andere gestellt werden, wie aufgeladen das Drumherum sein? Das sind zentrale Auseinandersetzungen zwischen Künstlern und Kuratoren in der Ausstellungskunst – sie gelten auch für die Programmierung eines Festivals oder eines Hauses. Kontexte können künstlerischen Arbeiten eine angemessene Rezeption ermöglichen – aber sie auch entmündigen. Doch sind Theater- und Tanzaufführungen keine Bilder, transportable Artefakte oder zumindest klar definierte Installationen. Sie sind fast immer aufwändiger, personell, räumlich, zeitlich, finanziell. Das macht die Bestellung einer thematisch passenden Arbeit zumindest schwieriger als in anderen Künsten, wenn nicht unmöglich. Thematische Setzungen können sinnvoll nur aus der künstlerischen Produktion abgeleitet werden, hier und da vielleicht durch die gezielte Inspiration von Künstlern. Auf solche Weise sind thematisch allzu eng geführte Programmierungen zumindest im Großen kaum denkbar. Aber auf der anderen Seite: Sind nicht auch in der Bildenden Kunst Ausstellungen, die künstlerische Werke vor allem als Beweismaterial für eigene Thesen nutzen, meist eher widerlich? (Aus einem ähnlichen Grund ist auch ein Großteil kunst/kultur/tanz/theaterwissenschaftlicher Literatur eigentlich unbrauchbar.)