Pavol Liska und Kelly Copper sind mit allen Tricks und Strategien der New Yorker Avantgarde gewaschen – und haben doch mit dem Nature Theater of Oklahoma das Theater noch einmal neu erfunden. Ihr biografisch-episches Musical «Life and Times», eine Koproduktion mit dem Wiener Burgtheater, kommt zum Theatertreffen nach Berlin.
Es ist ja auch ein Fluch, Künstler in New York zu sein. Jedes Jahr im Januar fliegen zig Kuratoren, Veranstalter, Festivaldramaturgen über den Atlantik auf Entdeckungsreise, wenn neben „Under the Radar“ am Public Theater und „Coil“ am PS122 auch diverse kleinere Festivals neue amerikanische, meist nicht-dramatische Theaterarbeiten aus New York präsentieren. Und jedes Jahr herrscht die gleiche Enttäuschung: Warum gelingt es außer wenigen, längst Bekannten wie Richard Maxwell, Elevator Repair Service oder Young Jean Lee kaum jemandem, aus dem Schatten der Altmeister Wooster Group oder Richard Foreman herauszutreten?
Selbst der Einfluss von Laurie Anderson oder Jack Smith scheint noch immer eher lähmend als fördernd zu sein. Und darüber kann man noch froh sein: Bis in die freie experimentelle Szene hinein sind für viele die Rezepte von Tennessee Williams, Arthur Miller und Edward Albee im Umgang mit Geschichte, Politik und Beziehungskisten unverzichtbar. Die tatsächlich miserablen finanziellen und logistischen Arbeitsbedingungen (selbst relativ erfolgreiche New Yorker Off-Theatermacher müssen oft nebenher jobben), eine überraschend überschaubare freie Szene (manche Schauspieler tauchen in drei oder vier Kompanien auf) und die massive Präsenz der oft noch immer um die Ecke lebenden Theatergeschichtslegenden bremsen die Experimentierfreude. Und wenn es etwas zu entdecken gibt, dann oft nicht bei den beiden Festivals, sondern unter den Aufführungen, Previews oder Proben, zu denen die geballt angereiste Veranstalterschaft außerplanmäßig eingeladen wird.
Vom Dinnertheater zum Musical
Auch No Dice, eine Produktion des bis dahin selbst in New York nahezu unbekannten Nature Theater of Oklahoma, war im Januar 2007 lediglich ein vager Geheimtipp: In einem heruntergekommenen Lager- und Bürogebäude, im improvisierten Probenraum eines Kindertheaters saßen lauter Europäer, und fast alle wussten sofort: Das ist nicht epigonal oder zaghaft suchend, sondern … nun ja: befremdlich einzigartig.
Am nächsten Morgen saßen die Regisseure Kelly Copper und Pavol Liska im legendären, russisch-sozialistisch angehauchten Grillrestaurant Veselka und empfingen Festivalmacher im Stundentakt: steirischer herbst, Sommerfestival auf Kampnagel, Internationale Keuze in Rotterdam. Anderthalb Jahre später hatte «No Dice» dann auch seine Premiere in New York.
„Nature Theater of Oklahoma“ – so heißt in Kafkas Romanfragment Amerika jene dubios verheißungsvolle Truppe, die jedem einen geeigneten Job anbietet, der sich rechtzeitig meldet bis zur Bewerbungsfrist um Mitternacht. Auch Karl Roßmann, Emigrant aus der Tschechoslowakei und Held des Romans, bekommt seine Chance und tuckert wenig später mit dem Zug nach Oklahoma einem neuen Leben entgegen. Diesen Namen hatten die Regisseure und Autoren Kelly Copper und Pavol Liska schon lange im Kopf für den Fall, dass sie ihre eigene Arbeit einmal unter dem Label einer eigenen Kompanie fortsetzen würden, wie sie es dann 2003 taten. Denn Pavol Liskas Leben verlief bis dahin bemerkenswert parallel zu Kafkas Roman: Mit achtzehn Jahren bekam er, der in einer Kleinstadt in der Slowakei aufgewachsen war, die sehr kurzfristige Möglichkeit, aufgrund eines obskuren Jobangebots in die USA zu kommen. Keine Woche später landete er – der eigentlich zur Armee hätte gehen sollen und noch nie zuvor im Ausland war – 1991 in Oklahoma.
Unverkennbar New Yorkerisch
Längst sind Liska und Kelly Copper, die sich ein Jahr später beim Theater- und Autoren-Studium im Dartmouth College in New Hampshire kennenlernten, nach New York gezogen, leben und arbeiten im East Village in einer Einzimmerwohnung (euphemistisch Studio genannt). Unter dem Namen Nature Theater of Oklahoma haben sie hier seit 2004 einige der bemerkenswertesten Theaterarbeiten geschaffen, die in der ehemaligen Hauptstadt der Avantgarde in den letzten Jahren entstanden sind: unverwechselbar in ihrer Mischung aus konzeptueller Strenge, modernistischen Kunststrategien (zuweilen der Bildenden Kunst näher als der performativen) und lustvollem Theaterspielen. Ohne Scheu vor scheinbar trashiger Oberflächlichkeit und ungehemmt wildernd in allen denkbaren Theatertraditionen.